Nachhaltig reparieren

Auferstehung eines HiFi-Verstärkers

Der folgende Beitrag beschäftigt sich nicht nur mit der Reparatur eines alten HiFi-Verstärkers, sondern auch mit dem Thema Nachhaltigkeit, welches zu meinem Bedauern seit 2021 überall in der Presse durchgekaut und fast zu Tode geprügelt wird. Dabei ist speziell dieses Thema erstens uralt und zweites sowieso schon immer wichtig!

Als ich dann neulich eine Schlagzeile von “Nachhaltigen Tulpen” aufschnappte (man suche “nachhaltige Tulpen” mit der bekanntesten Suchmaschine und bekomme Kopfschmerzen), riss mir die Hutschnur! Unsere heutige Gesellschaft ist nämlich das genaue Gegenteil von “Nachhaltig”: Wegwerf-Händis, Energy-Drinks in Blechdosen, Powerbanks, Abwrack-Prämien, Coffee-To-Go-Becher, die aufeinander gestapelt jedes Jahr einen Turm ergeben, der bis zum Mond(!) reicht, sind nur einige Schlagworte die mir dazu einfallen! Mikroplastik, Kunstoffabfälle, Fast-Food-Zumutungen, Einwegverpackungen … die Liste ist endlos. Aber das alles ist nicht weiter dramatisch, denn zum Glück züchten wir nun nachhaltige Tulpen!

Man denke nur mal daran, wie Familien in den 50er oder 60er Jahren gelebt haben und wieviel Abfall damals im Vergleich zu heute verursacht wurde. Natürlich war früher noch lange nicht alles perfekt und Umweltverschmutzung auch ein Thema, was leider zu oft ignoriert wurde. Aber seit einem Jahr liest und hört man in allen Medien nur noch von “Nachhaltigkeit” als wäre es die wichtigste Erfindung der 2020er Jahre. Es ist nicht auszuhalten. Zumal sich auch vieles sowieso “automatisch” verbessert hat, z.B. der Stromverbrauch von Leuchtmitteln und vielen Haushaltsgeräten - ganz ohne zutun der “Nachhaltigkeitspresse”.

Jedoch vieles was wir im Alltag tun und verbrauchen ist leider alles andere als nachhaltig. Daran ändert auch der Millionste Medienbeitrag nichts dran.

Der folgende Artikel soll nur ein Beispiel sein, wie man Abfall vermeiden und alte Geräte noch weiter verwenden kann (der worst-case ist ja, wenn noch funktionierende Apparate ausgemustert und ohne trifftige Gründe durch etwas angeblich “moderneres” ersetzt werden).

Als ich neulich meine Soundbar vom Gaming-PC zum Musik hören missbrauchte, fiel mir nach kurzer Zeit der scheinbar nicht so brillante Klang im Gehörgang auf. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob meine Ohren inzwischen zu alt sind, oder ob die Technik nicht die von mir gewünschte Klangqualität liefern kann.

Ich erinnerte mich an meinen HiFi-Verstärker, Baujahr ca. 1995, der seit vielen Jahren nach einem Umzug traurig und verlassen in einem Pappkarton im Keller ruhte:

pioneer_front image

Neugierig auf einen Sound-Vergleichstest wurde der Verstärker, ein Pioneer A-502R hervorgeholt. Ein passendes Paar 2-Wege-Standlautsprecher steht eh schon im Wohnzimmer bereit - ich weiss gar nicht mehr, warum die Anlage nicht schon längst wieder in Betrieb genommen wurde. Wahrscheinlich ist moderne Bequemlichkeit schuld: Musik wird über youtube und ähnliche Quellen mit Hilfe von Bluetooth-Brüllwürfeln “genossen”. Damit ist jetzt Schluss!

Der passende CD-Player gleichen Baujahres (Pioneer PD-S502) war sofort angeschlossen, doch aus den Boxen ertönte größtenteils nur Rauschen, Kratzen und Rumpeln - aus dem rechten Kanal manchmal gar nichts. Viele Menschen hätten spätestens jetzt alles zum Elektroschrott gegeben und irgendwas Neues angeschafft. Auch ich habe zumindest recherchiert, was heutzutage eigentlich angeboten wird, um hauptsächlich Musik zu hören. Nach ausführlichem online-Studium der aktuellen Angebote schraubte ich den Pioneer auf und begann mit langwieriger Fehlersuche, die ich an dieser Stelle abkürze:

Mit nützlichen Tipps von www.hifi-forum.de wurde schließlich der Quellenwahlschalter (Auswahl der Wiedergabequelle, also z.B. CD, Radio usw.) als wahrscheinlichste Ursache bestimmt. Die Reparatur, bzw. Reinigung, des Motorschalters will ich im folgenden beschreiben (angelehnt an diese Anleitung old-fidelity-forum.de), von mir etwas ausführlicher, und manches etwas einfacher, beschrieben.

Viele Geräte aus den 90ern lassen sich auf ähnlich Weise wieder instand setzen (es gibt sogar Betriebe, die sich auf die Reparatur alter HiFi-Komponenten spezialisiert haben - eine beliebige Suchmaschine hilft, diese Unternehmen zu finden).

Nötig für die Reparatur ist:

  • ein Elektronik-Lötkolben
  • Kreuz-Schraubendreher
  • eine Entlötpumpe und -Litze (oder eine richtige Entlötstation)
  • eine Lupe mit Stativ
  • Elektronik-Reiniger z.B. “Kontakt WL” von KONTAKT CHEMIE
  • Kontaktfett z.B. SGB 2GX von ELECTROLUBE
  • Q-Tipps
  • Nähmaschinenöl (welches Kunststoffe nicht angreift).

Zuerst entferne man den Deckel, indem man alle Schrauben an der Rückseite entfernt, die, von Pioneer wartungsfreundlich, mit einem silberfarbenen Dreieck markiert sind und die 2 kleinen, schwarzen Schrauben an den Gehäuseseiten. Dann sieht man schon den Quellenwahlschalter (der silberne “Kasten” mittig im Bild):

mainboard image

Nun muss die Platine, auf der sich der Schalter befindet, ausgebaut werden. Etwas knifflig sind die Flachbandkabel zu lösen: An den mit rot markierten Pfeilen die weißen Buchsen nach unten drücken, und das Flachband mit gefühlvollem Krafteinsatz nach oben wegziehen (keine Angst, da sind relativ stabile Litzen drin - die müssen das aushalten).

Jetzt die Verschraubung der Cinch-Buchsen an der Rückseite vom Verstärker lösen, die ungefähren Positionen sind im Bild mit gelben Pfeilen markiert. Zuletzt die Platine an den Kunstoffclipsen lösen (3 Stück, blaue Pfeile), dann vorsichtig nach oben aus dem Gehäuse rausnehmen.

Nun beginnt der langwierige Teil, das Auslöten des Motorschalters. Insgesamt sind es 40 Lötstellen, hier gelb umrandet:

desolder image

Wenn alle Lötstellen richtig gelöst sind (mit Lupe kontrollieren), lässt sich der Schalter leicht von der Platine abnehmen.

Im nächsten Schritt entfernt man die schwarze Kunstoffkappe, die im nächsten Bild bereits entfernt ist. Dazu biegt man 3 Blechzungen gerade (rot markiert):

cap image

Anschließend zieht man einfach die Achse heraus (keine Angst, dabei fällt nichts auseinander).

Jetzt müssen die 3 schwarzen Schalter (mit den grauen Scheiben) nach oben herausgezogen werden. Dazu die rot markierten Blechzungen vorsichtig auseinander biegen. Die Schalter nach Ausbau nicht vertauschen und die Position der grauen Scheiben merken! Am besten Fotos machen:

cap image

Nun müssen alle Kontakte der schwarzen Schalter gereinigt werden sowie vorsichtig (!) die rot markierten dünnen Kontaktstifte.

Ich empfehle hier eine einfache Lösung und rate davon ab zuviele verschiedene Reinigungs- und Kontakt-Chemikalien zu verwenden. D.h. ich habe die Kontaktflächen mit Kontakt WL sparsam eingesprüht und mit Q-Tipps sauber gewischt. Dabei alle Rückstände des Reinigers mit den Q-Tipps wieder abwischen/aufsaugen.

Anschließend die Kontaktflächen und die -Stifte dünn mit Kontaktfett bestreichen.

Sicherlich gibt es auch andere Möglichkeiten und Reinigungsmittel, da kann jeder selbst entscheiden was am “Besten” ist. Wichtig ist aber, dass die Reinigungsmittel den Kunststoff nicht angreifen. Im folgenden Bild sind alle Kontakte bereits gereinigt.

cap image

Hier das von mir verwendete Kontaktfett von Electrolube:

cap image

Die Kunstoff-Zanhräder und die Achse kann man mit einem winzigen Tropfen Nähmaschinenöl schmieren, aber wirklich nur sehr sparsam!

Nun wird alles wieder in umgekehrter Reihenfolge zusammengebaut, die Flachbandkabel steckt man genauso wieder hinein wie man sie ausgebaut hat: Die Kunststoffbuchsen an beiden Seiten herunterdrücken und das Kabel hinein stecken, dabei logischerweise darauf achten, dass die Litzen genau in die passenden Öffnungen kommen.

Bei einem derart alten Gerät ist es auch ratsam, die Cinch-Buchsen an der Rückseite zu reinigen (sowohl außen als auch innen!).

Sollte die Reinigung des Quellenwahlschalters keine Verbesserung bringen, steht eine ähnliche Reinigung des Lautsprecher-Potis an.

Bei mir war die Instandsetzung zum Glück erfolgreich und übrigens ist mein Gehör noch nicht zu alt: Der fast 30 Jahre alte Verstärker und der genauso alte CD-Player klingen nachweislich besser als moderne Soundbars und Bluetooth-Brüllwürfel mit anti-nachhaltigen Lithium-Akkus, die nach wenigen Jahren hochgifitger Sondermüll sind.

Vielen Dank fürs Lesen!

Created with jekyll

Written on January 8, 2022